B. M. Kuczer & Lésions Graves - Kompromisslose Elektroakustik & Minimal Metal
TOR 40, Beim Handelsmuseum 9 - Am Güterbahnhof
Bernardo Kuczer - Komponist und Maler
1999 zog sich Kuczer aus dem aktiven Musik- und Konzertbetrieb zurück. Ab dem Jahr 2000 widmete er sich fast ausschließlich der Arbeit mit Computern und entwickelte dabei eigenständig Softwareprogramme. Diese basieren auf seinen eigenen Hypothesen, Modellen und theoretischen Konzepten zu Harmonik, Rhythmus, Klang, Form und „Musikfluss“. Die Programme nutzt er sowohl für die Erforschung dieser Themen als auch für die Produktion seiner späteren digitalen Werke.
REM bietet ein außergewöhnliches Hörerlebnis: dabei werden einige von Kuczers frühen unkonventionellen Kompositionen aus dem Zyklus Civilización o Barbarie (1984) präsentiert und über das Bremer Lautsprecher Orchester BLO verteilt.
Lésions Graves (Trio) - I, III, II
(Henner Henzler - Schlagzeug, Mark Schröder, Sebastian Weist und Christian Hillebrand - E-Gitarren)
Lésions Graves ist ein experimentelles Extreme-Metal-Trio unterwegs in Richtung Minimal Music. Rasende Trommelmuster und summende Melodiefetzen verweben sich mit disharmonischen Klangsphären und komplexen rhythmischen und melodischen Phasenverschiebungen. Bei der heutigen Aufführung der Eigenkompositionen vertreten die beiden Gitarristen Christian Hillebrand und Sebastian Weist im Schichtbetrieb den verhinderten Gitarristen Paul Barsch.
Lésions Graves Quintet plays Julius Eastman “Evil Nigger”*
(Henner Henzler - Schlagzeug, Mark Schröder - E-Gitarre, Christian Hillebrand - E-Gitarre, Sebastian Weist - E-Bass)
Julius Eastman (1940-1990) war ein temperamentvoller, homosexueller, afroamerikanischer Komponist, der raffiniert minimalistische Innovation mit direkter politischer Provokation verband und so die hermetischen Institutionen der (weißen) klassischen Musik durchbrach. Eastman war einer der ersten, der kompositorische Techniken der Minimal Music mit Pop-Elementen verknüpfte und ist bekannt für seine provokanten, politisch motivierten Kompositionen, die über die Grenzen der Minimal Music hinausweisen und seiner Identität als Homosexueller einen wichtigen Platz in seinen Aufführungen einräumen. Einige von Eastmans Stücken sind wichtige Zeugnisse für die Thematisierung von Rassismus und Homophobie in unserer Gesellschaft. Schonungslose Titel wie "Evil Nigger" (1979) oder "Gay Guerrilla" (1980) sprechen rassistische oder homophobe Themen bewusst und direkt an, um niemandem die Möglichkeit zu lassen, sich der Realität dieser Diskriminierungen zu entziehen. Analog zu den Titeln schuf Eastman musikalisch gewalttätige Strukturen, die sich kritisch mit der strukturellen Gewalt und Rassismen auseinandersetzten, mit der er sich sein Leben lang auseinandersetzte und die auch heute noch bestehen. Über die politische Dimensionen seiner Musik hinaus sind seine Partituren sui generis für Kammerorchester, Klavier und Gesang lebendige, frei geformte Artefakte, die konsequent die Grenzen zwischen Minimalismus, Free Jazz, Gospelmusik, No Wave und Performance-Kunst sprengen. Obdachlos, weitgehend vergessen und von Alkohol und Drogen abhängig, starb Eastman im Alter von 49 Jahren allein an einem Herzstillstand, und ein Großteil seines Werks verschwand mit ihm.
Lésions Graves Quintett spielt eine Interpretation von Eastman´s “Evil Nigger”, eine Komposition für mehrere nicht näher beschriebene Instrumente (von ihm selbst mit 4 Klavieren uraufgeführt), in der Besetzung mit 2 E-Gitarren, E-Bass und Schlagzeug. “Evil Nigger”*, wie auch andere Stücke Eastmans, schrieb er nach einem, wie er es nannte “organischen Prinzip”, bei dem jeder neue Abschnitt eines Werks alle Informationen der vorangegangenen Abschnitte enthält, auch wenn die Informationen manchmal schrittweise und logisch herausgenommen werden. Die Partitur des Stücks ist eher skizzenhaft notiert, so dass die Interpreten viel Interpretationsarbeit leisten müssen. Dem Stück wohnt ein Gefühl der rohe Ekstase inne, und lässt den Interpreten und dem Publikum Raum, sich selbst zu finden.
*Hierbei handelt es sich um den Originaltitel des Komponisten. Julius Eastman legte den Begriff bewusst als rassistisch offen und machte damit insbesondere Nicht-Schwarze Menschen auf strukturellen Rassismus und verbale Gewalt aufmerksam. Wir haben uns entschieden, den Originaltitel von Eastman im Kontext dieser Aufführung auszuschreiben, obwohl es sich um einen rassifizierenden, diskriminierenden Ausdruck handelt. Ihn zu schwärzen, erschien uns als anmaßend, dem Werk des Komponisten gegenüber.